Die SPD kennt in den Umfragen nur noch eine Richtung: Nach oben. Die Chamer Zeitung hat die beiden zu den derzeitigen Entwicklungen befragt.
Chamer Zeitung: Der SPD-Parteivorstand hat Martin Schulz als Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2017 nominiert. Eine richtige Entscheidung? SPD Roding: Martin Schulz ist die richtige Entscheidung. Er kommt aus der Kommunalpolitik und weiß daher wo den Menschen der Schuh drückt und konnte auch in seinem Amt als Präsident des Europäischen Parlaments überzeugen.
Chamer Zeitung: Welche Qualitäten besitzt der 61-jährige Europapolitiker, die der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel nicht hat? SPD Roding: Beides sind herausragende sozialdemokratische Politiker. Sigmar Gabriel hat als Wirtschaftsminister viele gute Akzente in der großen Koalition gesetzt. Außerdem hat er die SPD als Parteivorsitzender durch schwierige Zeiten geführt. Martin Schulz hingegen ist ein neues Gesicht in der Bundespolitik und sorgt für frischen Wind in der Partei.
Chamer Zeitung: Schulz war von 2012 bis 2017 Präsident des Europäischen Parlaments und dessen Mitglied seit 1994. Spricht diese Erfahrung für ihn in seinem neuen Aufgabenfeld als Bundespolitiker, oder könnte sie zum Hindernis werden? SPD Roding: Martin Schulz bringt ja nicht nur eine sehr große Erfahrung auf europäischer Bühne mit sich, sondern auch die Erfahrungen als langjährige Bürgermeister seiner Heimatstadt. Dies wird ihm als Bundespolitiker sehr hilfreich sei.
Chamer Zeitung: Für die Bundes-SPD ging es bei den Wahlergebnissen in den vergangenen Jahren stetig abwärts. Mit Beginn der rot-grünen Reformen im Jahr 2001 haben sich die Werte von 40,9 Prozent (1998) über 34,2 Prozent (2005: Hartz IV tritt in Kraft) auf 21 Prozent (Forsa-Umfrage Januar 2017) verschlechtert. Welche Ursachen sehen Sie für diese Entwicklung? SPD Roding: Die Hauptursache war die Agenda 2010 unter Gerhard Schröder. Durch diese Reformen hat die SPD viele Wählerinnen und Wähler zu anderen Parteien im linken Politikspektrum verloren . Leider hat sich dies, obwohl in der aktuellen Legislaturperiode viele Wahlversprechen des letzten Bundestagswahlkampfs, wie der Mindestlohn oder die Rente mit 63 Jahren, umgesetzt wurden, bis zum jetzigen Schulz-Effekt nicht auf die Umfrageergebnisse ausgewirkt.
Chamer Zeitung: Die Agenda 2010: Viele Menschen haben sich deswegen von Ihrer Partei abgewendet. Sie werfen der ehemaligen Regierung Schröder Raubbau am Sozialsystem vor. Wie ist Ihre Einschätzung? SPD Roding: Als die Agenda 2010 von Gerhard Schröder verkündet wurde waren in Deutschland fast fünf Millionen Menschen arbeitslos und Deutschland hatte das geringste Wirtschaftswachstum in der EU. Reformen waren damals dringend nötig. Jedoch wurde damals vergessen wichtige sozialpolitische Elemente in die Agenda 2010 einzufügen. So hätte man z.B. schon am Anfang der Agenda 2010 ein gesetzlichen Mindestlohn einführen müssen, um die Ausbreitung des Niedriglohnsektors zu verhindern. Des Weiteren hätte man damals schon den Missbrauch der Leiharbeit eindämmen müssen. In den letzten Jahren hat die SPD viele negative Entwicklungen der Agenda 2010 berichtigt. So wurde die abschlagsfreie Rente nach 45 Beschäftigungsjahren, das Gesetzt gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen, usw. von der SPD durchgesetzt.
Chamer Zeitung: Zum Klientel der SPD gehörten schon immer die sozial Schwachen und Arbeiter. Die fühlen sich von den Sozialdemokraten aber nicht mehr wirklich vertreten. Was muss die SPD tun, um wieder Wähler für sich zu gewinnen? SPD Roding: Wir müssen uns wieder auf unserer Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zurückbesinnen und uns ein klares sozialdemokratisches Profil geben. Soziale Gerechtigkeit muss wieder unser Markenkern werden. Außerdem müssen wir wieder unser klassisches Wählerklientel in den Mittelpunkt unserer politischen Agenda stellen.
Chamer Zeitung: Eine Internetplattform produziert Werbevideos der anderen Art und stellt den Kanzlerkandidaten als Robin Hood dar. Schulz bekennt sich offenbar als Fan. Könnte er ein Heilsbringer sein? SPD Roding: Heilsbringer ist für mich ein Mediziner für Menschen mit gesundheitlichen Problemen. Die Internetplattform ist in unserer heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken und ich glaube auch wichtig. Als Kanzlerkandidat braucht Schulz auch Werbevideos um seine Sichtweise und seine politischen Aussagen zu bekräftigen und zu verbreitern.
Chamer Zeitung: Martin Schulz hat Ihrer Partei einen Umschwung bei den Meinungsumfragen gebracht. Aktuell steht sie bei knapp 30 Prozent. Wird sich diese Entwicklung auch in der Landes- und Kommunalpolitik widerspiegeln? SPD Roding: Mit der Kandidatur von Martin Schulz geht ein Ruck durch die Partei. Die Motivation an der Basis ist deutlich gestiegen. Jetzt gilt es diesen Aufschwung mitzunehmen und einen engagierten Wahlkampf zu führen. Dies wird sich über kurz oder lang auch positiv auf die Landes- und Kommunalpolitik auswirken.
Chamer Zeitung: Die SPD kämpft gerade mit der Regensburger Korruptionsaffäre. Der suspendierte Oberbürgermeister Joachim Wolbergs sitzt in Untersuchungshaft. Wie sehr schadet dieser Vorfall dem Ansehen der Genossen? SPD Roding: In der Regensburger Korruptionsaffäre ist ja nicht nur die SPD verwickelt, was die Ermittlungen gehen den ehemaligen Oberbürgermeister Schaidinger zeigt. Leider schaden solche Vorfälle der kompletten Parteienlandschaften, der Glaubwürdigkeit aller Politiker und auch unserer Demokratie. Dies führt dazu, dass die Politikverdrossenheit weiter steigt und viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr zur Wahl gehen oder ihre Stimmen aus Protest Parteien aus dem extremen Spektrum geben.
Chamer Zeitung: Die Gesellschaft hat sich offensichtlich verändert. Viele Menschen sehen sich als Verlierer der Globalisierung. Es hat den Anschein, als ob Egoismus und Gefühlskälte immer mehr um sich greifen würden. Viele Menschen können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Welche Ursachen spielen hier eine Rolle? Was sagen Sie den Betroffenen? SPD Roding: Als Verlierer der Globalisierung würde ich Deutschland nicht bezeichnen. Wir haben das höchste Beschäftigungsniveau seit der Wiedervereinigung, wir haben ein stabiles Wirtschaftswachstum und unser Wohlstandsniveau steigt. Aber der entscheidende Punkt ist das dieser Wohlstand leider nicht bei allen Bürgern ankommt. Hier muss sich die Sozialdemokratie wieder auf ihren Markenkern zurückbesinnen und versuchen den Wohlstand in unserer Gesellschaft gerechter zu verteilen. Jeder der in Deutschland Vollzeit arbeitet sollte sich und seine Familie davon ernähren können. Außerdem brauchen wir eine Besteuerung von großen Vermögen und Kapitaleinkommen, damit die Scherer zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinanderdriftet.
Chamer Zeitung: Terrorismus, Rechtspopulisten, Fake News, Brexit, Krise der EU und die Entwicklung in Amerika. Die Politik hat derzeit mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Welche Strategien schlägt die Basis vor? Was können Deutschland und Europa unternehmen? Was kann jeder einzelne tun?
SPD Roding: Leider ist ein Vormarsch der Rechtspopulisten und EU-Austrittsbefürworter in Europa zu erkennen. Auch in Deutschland gibt es wieder eine politische Kraft, welche öffentlich nationalistische und völkische Töne herumposaunt und den Austritt aus der EU fordert. Einfache Antworten sind gefragt, auch wenn dabei außer Acht gerät, dass es auf komplexe Probleme nicht immer einfache Antworten gibt.
Außerdem sollten wir uns auch immer wieder ins Gedächtnis rufen, was uns die Europäische Union und die Völkergemeinschaft seit nun mehr als 70 Jahre garantieren, nämlich Frieden und Freiheit. Wir müssen die Menschen wieder mit guter Politik für unsere Demokratie begeistern.
Chamer Zeitung: Ein Blick auf das Weltgeschehen: Donald Trump heißt der 45. Präsident der USA. Fast täglich kommen irritierende Nachrichten aus dem Weißen Haus, die Anlass zur Sorge geben. Sie arbeiten für ein Unternehmen, Herr Meier, das global aufgestellt ist und in Nord- und Mittelamerika Niederlassungen unterhält. Sind die Auswirkungen der neuen Politik schon spürbar? SPD Roding: Natürlich macht man sich Gedanken, wie sich die Politik von Donald Trump auch auf die hiesige Wirtschaft auswirkt. Jedoch kann ich mir immer noch nicht vorstellen, dass Donald Trump wirklich Einfuhrzölle für Waren, welche nicht in den USA produziert wurden, durchsetzten kann. Die Verlierer dieser Politik werden die Verbraucher und vor allem die einkommensschwachen Amerikaner sein.